Handeln
Handeln im Gesundheitsbereich
Für etwa ein Drittel der Betroffenen geschlechtsbezogener Gewalt ist die erste Anlaufstelle eine Einrichtung der Gesundheitsversorgung. Gründe für das Aufsuchen können akute Verletzungen oder die Folgen jahrelanger Gewalt sein – zum Beispiel eine Vergewaltigung durch eine bekannte Person der ein sexueller Übergriff durch eine unbekannte Person.
Warum Handeln im Gesundheitsbereich wichtig ist:
- Kliniken mit Notaufnahmen haben eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung für akute Verletzungen und können bei psychischen Eskalationen intervenieren.
- Niedergelassene Praxen können langfristiger vertrauensvolle Beziehungen zu Betroffenen aufbauen, Veränderungen des allgemeinen Zustandes wahrnehmen und Folgetermine anbieten.
- Öffentliche Gesundheitsdienste sind eine wichtige Anlaufstelle für Personen ohne Krankenversicherung, insbesondere bei Anliegen rund um die sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Der Gesundheitsbereich ist somit sehr vielfältig. Die ambulanten und stationären Angebote sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen sind eine wichtige Ressource – sowohl für Betroffene als auch für Fachpersonal in Frauenhäusern und Beratungsstellen. Deshalb gilt: Betroffene brauchen Ihre Unterstützung!
Leitlinien WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bietet einen evidenzbasierten Überblick über klinische Maßnahmen bei häuslicher und sexualisierter Gewalt. Die WHO-Leitlinien richten sich an Beschäftigte im Gesundheitswesen, Anbieter*innen von Gesundheitsleistungen sowie Akteur*innen in Gesundheits- und Gleichstellungspolitik. Es sind Praxisempfehlungen, die Gewalt als ein gesundheitspolitisches Thema verstehen. Kolleg*innen unseres Vereins S.I.G.N.A.L. e. V. haben die Leitlinien aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Hier geht es zur Originalversion und zur deutschen Übersetzung.
Ersthilfe beachten
Ersthilfe ist eine Entlastung für Betroffene! Und sie kann Langzeitfolgen der erlittenen Gewalt entgegenwirken. Bei der Ersthilfe von Betroffenen in allen Arbeitssettings des Gesundheitsbereiches sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Nehmen Sie eine parteiische Haltung ein: wertfrei, empathisch und sensibel. Bedenken Sie Sprachbarrieren.
- Entscheidungen ermöglichen: Direkt nach einer Gewaltsituation fällt es Betroffenen oft schwer, über eine Strafanzeige zu entscheiden. Bieten Sie an, die Verletzungen zu dokumentieren oder eine Spurensicherung zu veranlassen – unabhängig von einer polizeilichen Anzeige. Das verschafft Zeit und nimmt Druck.
- Sicherheit klären: Prüfen Sie, ob die betroffene Person und ggf Kinder, die im Haushalt leben sicher sind. Vermitteln Sie bei Bedarf in Schutzunterkünfte.
- Wichtig: Gemeinsam entscheiden. Die Wahl der Unterstützungsangebote sollte nur gemeinsam mit den Betroffenen getroffen werden. Respektieren Sie Ablehnung.
Ersthilfe bei Gewalt in Paarbeziehungen und nach Vergewaltigungen
Die WHO versteht unter Ersthilfe eine bedürfnisorientierte Versorgung von Betroffenen, die Aspekte der physischen und psychischen Gesundheit berücksichtigt. Darüber hinaus sollen Unterstützungs- und Sicherheitsoptionen in den Blick genommen werden. Dieses Verständnis von Ersthilfe ist auch Grundlage unserer Arbeit in der KIS.
Frühzeitiges Handeln als gesellschaftlicher Nutzen
Frühzeitiges Handeln spart gesamtgesellschaftliche Kosten. Eine Studie von Sylvia Sacco (2017) zeigt, dass häusliche Gewalt finanzielle Auswirkungen sowohl für die Betroffenen als auch für Kommunen, Städte und ganze Staaten hat. Für Deutschland ergeben sich Gesamtkosten von mindestens 3,8 Milliarden Euro pro Jahr und 74 Euro pro Person im erwerbsfähigen Alter. Die Kosten setzen sich aus verschiedenen Faktoren zusammen: Krankenversicherung, Polizeieinsätze, Verhandlungskosten, Bewährungshilfe, Transferleistungen sowie Unterstützungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Was bedeutet Handeln im Gesundheitsbereich?
Wie erkenne ich Betroffene häuslicher und sexualisierter Gewalt, und wie spreche ich sie an? Mehr darüber in unserer Basisfortbildung.