Handeln in der Zentralen Notaufnahme
Häusliche Gewalt und Vergewaltigungen sind medizinische Notfälle!
Schnelles und sicheres Handeln ist entscheidend
Schwere Verletzungen nach körperlicher und sexualisierter Gewalt müssen medizinisch sofort behandelt werden. Wenn die betroffene Person einwilligt, dokumentieren Sie alle Verletzungen sorgfältig. Nach einer Vergewaltigung sollten Aspekte der sexuellen und reproduktiven Gesundheit abgeklärt werden. Besprechen Sie, ob eine DNA-Sicherung sinnvoll ist. Dies kann im Falle einer Anzeige oder eines Strafprozesses von hoher Relevanz sein.
Eine umfassende Versorgung von Betroffenen bedeutet:
- medizinische und psychologische Ersthilfe
- Spurensicherung und gerichtsfeste Dokumentation
- Weitervermittlung in psychosoziale Beratungsstellen oder Frauenhäuser
Sabine Müller, 55 Jahre alt, kommt in Begleitung ihres Ehemanns in die Notaufnahme. Er wirkt äußerst besorgt. Sie hat eine Platzwunde an der Stirn, einen Verband am rechten Mittelfinger sowie starke Kopfschmerzen und leichten Schwindel. Ursache der Verletzungen sei ein Sturz von der Treppe gewesen, bei dem sie mit dem Kopf gegen eine massive Holzkommode im Hausflur geprallt sei. Sie gibt an, sehr in Eile gewesen zu sein, da ein neuer Mandant in der Kanzlei auf sie gewartet hätte.
Im Wartebereich redet der Ehemann sehr eindringlich auf sie ein. Frau Müller wirkt angespannt. Das Schädel-CT zeigt keine akuten Befunde, jedoch fällt auf, dass die Patientin in der Vergangenheit bereits eine Nasenbeinfraktur hatte.
Hinweis: Wie spreche ich Betroffene an? Formulierungshilfen finden Sie hier.
Gerichtsfeste Dokumentation und Spurensicherung
- Seien Sie sensibel während der Untersuchung.
- Nehmen Sie sich Zeit und machen Sie ggf. Pausen.
- Weisen Sie auf Ihre Schweigepflicht hin.
- Kündigen Sie alle Untersuchungsschritte an.
- Brechen Sie die Untersuchung sofort ab, wenn die betroffene Person das wünscht.
- Nach einer Anzeige wird die Dokumentation der Verletzungen und die Spurensicherung an die Behörden weitergeleitet, sofern eine Schweigepflichtsentbindung vorliegt.
Vertrauliche Spurensicherung nach Vergewaltigung
Die vertrauliche Spurensicherung nach einer Vergewaltigung erfolgt ohne Strafanzeige, um den Betroffenen Zeit für Entscheidungen zu geben. Sie können sich so zunächst auf andere Bedürfnisse konzentrieren: eine (sichere) Wohnung, ein geeigneter Therapieplatz oder rechtliche Beratung.
Die Spurensicherung und gerichtsfeste Dokumentation waren lange – bis in die 2010er-Jahre – forensische Tätigkeiten. Heute ist dies kassenfinanziert (§ 27 (1) SGB V, seit 01.03.2020). Es besteht also Anspruch auf eine kassenfinanzierte Versorgung nach sexueller Gewalt. Dadurch soll die verfahrensunabhängige Spurensicherung niedrigschwellig und wohnortnah möglich sein – in verschiedenen Kliniken oder Arztpraxen. Die Umsetzung kann in den Bundesländern unterschiedlich sein. Mehr Informationen finden Sie hier.
Sensibel und wertschätzend handeln
Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt sensibel und wertschätzend versorgen in der Notaufnahme: Lesen Sie dazu die Handlungsempfehlung Zentrale Notaufnahme. Für eine gerichtsfeste Dokumentation von Verletzungen können Sie den S.I.G.N.A.L.-Dokumentationsbogen nutzen.